Dr. Eberhardt Hesse ist an den Ort seiner Jugend, nach Boppard am Rhein zurückgekehrt. Rund 40 Jahre wohnte und arbeitete der Allgemeinmediziner in Brinkum bei Bremen, wo er auch eine eigene Arztpraxis betrieb. Dort hat er sich zusammen mit seiner Frau Barbara Sturm-Hesse mit großer Hingabe um die kleinen und großen Leiden seiner Patienten gekümmert. Doch Boppard ließ ihn nicht los und als sich 2016 die einmalige Gelegenheit bot, ein ganz besonderes Haus zu kaufen, nutze der 75-Jährige die Chance, es zu erwerben. Und dies wohl wissend, dass er sich zwar seit seinen Studienanfängen bis Eintritt in den Ruhestand gut 50 Jahre äußerst erfolgreich um die Heilung und das Wohlergehen von Menschen gekümmert hat, jedoch noch keine Erfahrung und Kenntnis um die „Heilung“ eines sanierungsbedürftigen, knapp 280 Jahre alten Fachwerkhauses besaß. Während seine Frau noch für eine Übergangszeit weiter in der Praxis in Brinkum arbeitete, nutzte Dr. Hesse besondere Fähigkeiten, die ihn in seinem Berufsleben auszeichneten: Ihn faszinieren Menschen, er kann sehr gut zuhören, ist in der Lage auf die Probleme seine Patienten einzugehen und sein analytischer Verstand findet die geeigneten Heilungsmöglichkeiten. Kurzum: Was bei erkrankten Menschen funktioniert, sollte sich doch auch auf ein in die Jahre gekommenes Haus mit all seinen großen und kleinen Nöten übertragen lassen. Mit diesem Ansatz gelang es Dr. Hesse (in diesem Fall auch ohne Stethoskop) in das Haus reinzuhören und die Meinungen von konsultierten Fachleuten zu bewerten. Ihn interessierte sehr, welche Sanierungsvorschläge Architekten, Denkmalpfleger, Kunsthistoriker, Restauratoren und Handwerker machten. Und er war in der glücklichen Lage, daraus in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Fachwerk4 aus Wirges im Westerwald einen Sanierungsablauf zu erstellen.
Und so konnte es dann auch erstaunlich schnell losgehen. Das 1737 erbaute Fachwerkhaus steht in erster Reihe an der Rheinallee und hat Stadtbildprägenden Charakter. Der vollständige verschieferte Turm ist aus einer Umbauphase aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in der auch alle Fenster erneuert wurden. Die Innenräume wirkten bei Erwerb des Hauses durchaus „museal“ – in vielen Bereichen war noch der Urzustand zu erkennen, Innentüren, Treppenhaus, repräsentative Kölner Decken und die Böden befanden sich in verhältnismäßig gutem und sanierungsfähigem Zustand. Allerdings gab es auch einige nachträgliche fragwürdige An- und Umbauten, die so gar nicht in das gewünschte Sanierungskonzept passten und somit entfernt und gegen passende Ausführungen getauscht werden mussten. So auch viele Fenster aus der Zeit Mitte bis Ende des vergangenen Jahrhunderts.
Auf den ersten Blick wirkten die Fenster durch die handgearbeiteten Winkelbänder mit Stützkloben, barock anmutenden Reibern und Knöpfen durchaus bauzeitlich. Allerdings passten Schlagleiste, Wolfsrachen und Kittfalz keineswegs in die Zeit um 1737. Ein Großteil der Fenster stammte somit aus der Umbauphase um 1850 und war handwerklich gut gearbeitet und erhaltenwert. Die in vielen Flügeln zu findenden Bleiverglasungen waren mit guten Willen als „romantisierend“ zu bezeichnen und wurden auch von der Denkmalpflege als nicht erhaltungswürdig eingestuft. Um ein authentisches Bild zu erzielen, wurde von der die Fenstersanierung ausführenden Firma Hachenberger aus Eltville auf den Einsatz von technisch perfektem, in der Oberfläche „totem“ Floatglas verzichtet und ein für die Mitte des 19. Jahrhunderts passendes, in der Fläche „lebendiges“ Glas eingesetzt.
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Eine ganze Reihe Fenster, die aus der Zeit Mitte/Ende 20 Jahrhundert stammen und aufgrund von Aufteilung oder Proportionen vollkommen deplaziert waren, wurden gegen neue Isolierglasfenster ausgetauscht. Hier musste ein Spagat gemacht werden: Die neuen Fenster sollten sich trotz bauartbedingter, durch die Verglasung und Verschlußtechnik minimal breiterer Rahmen, möglichst unauffällig in den Bestand integrieren und auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu den restaurierten Einfachfenstern nicht stören.
Das fertige Ergebnis überzeugt auf ganzer Linie. Bauzeitliche Ausstattungen wurden mit Sachverstand und Handwerkskunst umsichtig saniert, unpassende Eingriffe der jüngeren Vergangenheit korrigiert und wo es nicht anders ging bzw. es Sinn machte, wurden neue Elemente subtil hinzugefügt.
Im Jahr 2022, also einige Jahre nach der Sanierung und dem Einzug, hatten wir das Vergnügen, Dr. Hesse und seine Frau vor Ort zu besuchen und uns das Gesamtergebnis in Ruhe anzuschauen. Dr. Hesse hatte sich viel Zeit für uns und unsere Fragen genommen und uns das sanierte Haus gezeigt. Er konnte viele Geschichten über das Haus, die mit der Sanierung verbundenen Aufgaben und den Menschen, mit denen er zu tun hatte, erzählen. Sehr beeindruckend war auch zu hören, dass die Gesamtsanierung über alle Gewerke, von ersten Gesprächen mit Architekten und Denkmalpflegern bis zum Einzug nur 11 Monate (!) gedauert hatte. Die Geschichte dieser Sanierung hat Vorbildfunktion. Dr. Hesse hat es auf sehr sympathische Weise geschafft, Fachleuten zuzuhören, daraus ein Konzept abzuleiten und nicht zuletzt ein Orchester aus Handwerkern zu dirigieren. Sein besonderer Dank gilt dem Architekturbüro Fachwerk4, den beteiligten Handwerksbetrieben sowie der Unteren Denkmalbehörde Simmern und dem Landesdenkmalamt Mainz, dort insbesondere der wissenschaftlichen Referentin Frau Dr. Maria Wenzel.
Frau Barbara Sturm-Hesse ist mittlerweile auch im Ruhestand und kann zusammen mit ihrem Mann das mit Leidenschaft sanierte Haus im liebenswerten Boppard genießen. Wir wünschen beiden alles Gute und viele glückliche Jahre.
Dr. Hesse erhält besondere Auszeichnung für die Sanierung
Im November 2024 wurde die Sanierung des Fachwerkhauses am Rhein mit dem ersten Platz beim Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege ausgezeichnet. Unter 32 teilnehmenden Denkmalobjekten überzeugte das vom Ehepaar Hesse mit viel Liebe zum Detail sanierte Haus die Fachjury besonders. Bei der Preisverleihung in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz erhielt Dr. Hesse neben der Auszeichnung auch ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro. Das Team von Fenster im Baudenkmal gratuliert zu dieser besonderen Auszeichnung.
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Ivo-Andreas Piotrowicz
Studium FH für Technik, Akademie des Handwerks Schloß Raesfeld: staatlich geprüfter Techniker für Baudenkmalpflege und Altbauerhaltung. Seit 1994 Produkt- und Projektmanager für PaXclassic GmbH. Organisation von Fachtagungen „Fenster im Baudenkmal“, Redaktion für die gleichnamige Buchreihe und Online-Fachportal „Fenster im Baudenkmal“. Bundesweite Beratungstätigkeit für Denkmalämter, Bauherren und Architekten.